Überall in der Glückspielstadt Las Vegas sprudeln Brunnen, die man irgendwo im alten Europa schon einmal gesehen hat, brausen Wasserfälle über Kunstfelsen und fahren Gondeln über einen kleinen Canale Grande – und das alles mitten in der trockendsten Landschaft Amerikas, in der Wüste von Nevada. Und Brittney Spears bringt Ihre neue Show – mit Playback. So gesehen ist die künstliche Stadt mit dem Versprechen vom ganz großen Glück für die Consumer Electronis Show (CES) wie geschaffen. Doch bei all dem Glamour und Glitter wird gern übersehen, welche revolutionären Entwicklungen hier ihren ersten Auftritt erlebten.
Zeitenwenden wurden hier eingeleitet. Man denke nur an all die kleinen elektronischen Helferlein, die wir täglich mit uns herumtragen und damit unser Privatleben und unseren Berufsalltag vollständig geändert haben. So eine umwälzende Entwicklung kündigt sich nun wieder an, und Apple wie Google sind dabei. Im Las Vegas Convention Center wird die Welt dann an den drei Tagen der CES bis Freitag, 10. Januar 2014, an vielen Stellen bunter, und zwar genau da, wo wir es von einer CES erwarten. Größere Bildschirm und gebogene kommen auf uns zu und vieles mehr, was wir schon immer besitzen wollten.
Aber dieses Jahr kündigt sich ein Kulturwechsel an, den viele zunächst als Kulturschock empfinden werden. Dabei fängt alles noch ganz harmlos an. So erlebt die Fachwelt dieses Jahr zumindest zwei Auto-Weltpremieren ohne Auto. Mercedes-Benz erlaubt auf seinem Stand schon einmal die nähere Bekanntschaft mit der neuen C-Klasse. Augmented Reality erweckt das Auto auf dem Messestand scheinbar zum Leben. Damit greift die virtuelle Realitiät dem wahren Leben um eine Woche voraus. Denn in der richtigen Realität findet die Weltpremiere der neuen Mercedes-Benz C-Klasse eine Woche später statt, auf der klassischen Automobilmesse in Detroit, wo man sie dann auch streicheln und sie für ein paar Momente sogar besitzen und den Duft des neuen Innenraumes wahrnehmen kann.
Auch die Koreaner von Hyundai haben sich für eine solche zweigeteilte Premiere entschieden. In Las Vegas demonstrieren sie vom ihrer neuen Limousine Genesis alles rund um Sensoren, Assistenzsysteme und Internet. Den Rest gibt’s in Detroit.
Aber wer ganze Autos sehen will, bekommt auch seine Chance. So stehen bei Mercedes-Benz die neue E-Klasse und die Studie zum S-Klasse Coupé. Ford hat seinen Solar-Focus prominent aufgebaut. Audi überrascht mit der Studie Sport Laserlight Concept.
Mercedes-Benz dagegen gönnt den Freunden der virtuellen Realität in Las Vegas aber auch etwas für die Augen, was gerade die Amerikaner an der West- und der Ostküste besonders zu schätzen wissen. Die elektronisch hochgerüstete E- und die S-klasse sind ebenfalls vor Ort. Und am ersten Messetag gönnen die Stuttgarter den Messebesuchern noch einen besonderen Leckerbissen: das Concept S-Class Coupé. Kia, Toyota – viele haben Autos mitgebracht. Tausende Fotos entstehen, doch die wirklichen Neuheiten lassen sich eben nicht mit dem Smartphone erfassen.
Schon nach kurzer Zeit gewinnt man den Eindruck, die stehen nur in der Messehalle, um die Bildersucht der Besucher zu befriedigen. Denn eigentlich geht es in diesem Jahr in Las Vegas um etwas ganz anderes: um uns und unsere Beziehung zum Auto. Erinnern wir uns: Vor zwei Jahren noch hätte niemand den Begriff vom autonomen Fahren benutzen dürfen, ohne damit beim Autofahrer Abscheu auszulösen. Wir sind wir, und wir fahren unser Auto selbst. Und wir sind stolz darauf, dass das niemand so gut kann wie wir. Schließlich haben wir die Autobahn.
Wie sehr sich inzwischen unmerklich andere Schwingungen in unser Verhältnis zum Auto eingestellt haben, verdeutlichte Mercedes-Benz am Vorabend der IAA des vergangenen Jahres, als Chef Dieter Zetsche sich von einer S-Klasse ohne Fahrer, also autonom, auf die Bühne fahren ließ. Da brandete auf einmal Applaus auf, und das von einem Auto-Publikum. Erst später waren zweifelnde und mahnende Stimmen zu hören, aber nicht so laut, dass sie am positiven Grundtenor etwas hätten ändern können.
Und der Wettbewerb war betroffen: Das können wir alle längst, war sofort zu hören. In der Tat haben fast alle Hersteller am automatischen Fahren gearbeitet, aber im stillen Kämmerlein und ohne Druck. Jetzt ist der Druck da. Beim IAA-Auftritt hatte Forschungschef Prof. Thomas Weber das autonome Fahren noch aufs nächste Jahrzehnt verschoben, indem er sagte, noch in diesem Jahrzehnt werde es erhebliche Weiterentwicklungen geben. Jetzt sprechen alle unisono davon, in fünf Jahren so weit zu sein.
Der Normalfahrer geht beim Begriff autonomes Fahren davon aus, dass er in Zukunft im Stau auf der Autobahn nichts mehr unternehmen muss. Sein Auto achtet auf den Abstand, stoppt, wenn nötig, und fährt wieder an, hält sich an den Fahrstreifen. Das ist kommod und sicher. Das wird sich in bestimmten Fahrzeugklassen schon bald in der Aufpreisliste finden. In der Tat kann man sich seine Extras heute schon so zusammenstellen, dass das reibungs- und risikolos funktioniert.
Aber das ist erst der bescheidene Anfang. In Las Vegas war jetzt viel vom lernenden Auto die Rede. Das weiß eben, wann sein Fahrer ins Büro fährt, kennt den Weg, sucht den Parkplatz, fährt wieder heim, schaltet schon mal die Heizung an, fährt die Rollläden hoch, startet den Kaffeeautomaten und kündigt sich per automatischer SMS an. Natürlich kennt er auch die Einkaufsgewohnheiten, die Sporthalle, die Schule, den Golfplatz. Thomas Weber sagte jetzt zum lernenden Auto: „Das Auto lernt alles über seinen Fahrer: seine Erwartungen, seine Fähigkeiten, seinen Tagesablauf und seine Stimmungslage.“ Technisch ist das heute längst über das Stadium der Vision hinaus. Doch bei uns Heutigen kommt da heftiges Unwohlsein auf.
Und wer braucht das? Wenn man das Autofahren mal ganz unemotional betrachtet, dann geht es doch nur um die Strecke vom berühmten A zum altbekannten B. Und solche Strecken hat jeder von uns, jeder hat viele As und Bs, aber natürlich auch ungewöhnliche Touren. Wie immer: Das Autofahren frisst nicht nur Treibstoff. Volkswirtschaftlich viel teurer ist die Zeit, die man unproduktiv hinterm Lenkrad verbringt. Die Chefs in den dicken Limousinen mit Fahrern argumentieren genau so: Ich kann es mir nicht leisten, beim Autofahren nicht produktiv zu sein.
Damit ist mehr gemeint als nur die Benutzung einer Freisprechanlage. Beim autonomen Fahren wird das Auto zum Büro auf Zeit mit Verbindungen in alle Netze, mit Tablet und allem, was man in seinem Beruf nutzen kann und was ins Auto passt. Natürlich gilt das auch für die Fahrt nach Hause. Dann wird das Auto eben zur Chill-Zone, zur Konzert-Lounge oder zum Kino-Palast.
Wir stehen erst am Anfang. Uns steht noch viel mehr bevor, was Effektivität der Mobilität sowie Komfort und Sicherheit über ein Maß hinaus steigern kann, von dem wir heute nur träumen. Querverkehr erkennt das Auto heute schon, Auffahrunfälle werden mit den neuen Techniken auch seltener. Und so weiter. Da der Computer in unserem Auto der Zukunft nie müde wird, kommen wir so Schritt für Schritt dem Ziel näher, Verkehr ohne Unfälle zu organisieren.
Es wird so kommen. In Deutschland vielleicht nicht so schnell wie in anderen Märkten wie den USA mit ihren niedrigen Tempolimits, den großen Entfernungen und den in den Ballungsräumen scheinbar endlosen Staus. Den Chinesen wird das aus ähnlichen Gründen ebenso gefallen. Die Deutschen dagegen werden das Thema zunächst sicher nicht ins Herz schließen.
Die aktiven Fahrer gab es immer. Sie wird es auch beim verbreiteten autonomen Fahrern noch geben. Während die Einen damit zufrieden sind, vom Fahrer zum Automanager zu werden, werden die anderen – wie heute – die Herausforderung am Steuer suchen. Daimlers Zukunftsforscher Alexander Mankowsky sieht daher zwei Fahrertypen auf uns zukommen, die den heutigen nicht unverwandt sind: Die einen suchen die Mobilität in einem Stil, der zu Ihnen passt. Sie wollen autonom sein und tun und lassen können, was sie wollen. Die anderen werden sich eher am Wettbewerb orientieren, allerdings nicht notwendigerweise auf öffentlichen Straßen. In den USA kann man heute schon erkennen, wo die Reise für die Fahr-Fahrer hingeht: Rennstrecken gibt es hier mehr als bei uns. Concourse-Veranstaltungen, bei denen man sein gutes Stück vorführt, ebenfalls. In Europa werden wohl eher Geschicklichkeitsfahrten und Rallye gefragt sein.
Schaut man in die Presseunterlagen der in Las Vegas aktiven deutschen Marken, so wird Einiges klar: Bei autonomen Fahren bilden drei von ihnen auch international die Speerspitze. Die zu lösenden Aufgaben sind klar. Jeder weiß, was er an Sensoren braucht, dass er viel mehr Rechnerleistung an Bord und eine deutlich verbesserte digitale Kartographie haben muss, dass er sich nicht zwischen den Betriebssystemen iOS und Android entscheiden kann, sondern beide bedienen muss und noch viele Details mehr.
Doch muss man sich offenbar keine Sorgen um das Image der drei Marken machen. Wenn auch viele Denkansätze und oft sogar die Komponenten gleich sind: Die Denke orientiert sich an der Marke. Was BMW mit seinen Unterlagen zur CES sehr schön deutlich dargestellt hat. Für die Münchner ist das autonome Fahren erst dann perfekt, wenn es auch an den Grenzen der Fahrdynamik wirkt. Das Auto soll mit Bestzeit Slalom fahren können. Das wird den Fahr-Fahrern aber gar nicht passen, wenn die Genuss-Fahrer dank Automatik die besseren Zeiten fahren können, sobald sie die Bruno-Spengler-Taste drücken. (Peter Schwerdtmann, ampnet/Sm)