Das größte Van-Treffen Europas findet Jahr für Jahr im Sommer in Dänemark statt. Die klassische Limousine, selbst der moderne Kompakte und sogar das große SUV treten hier in den Hintergrund. Ganz ohne feste Organisation treffen sich jedes Jahr in den Sommerferien Tausende Kleinbusse und Vans in den Dünen und Häfen der West und Ostküste. Dieses Jahr kommt ein neues Gesicht dazu, von den anderen unauffällig, aber aufmerksam beobachtet. Noch haben sie keine Meinung zur Mercedes-Benz V-Klasse, von der die Stuttgarter sagen, sie sei der Mercedes unter den Vans.
Den Marktführer bei den Familientransportern stellt auch im höheren Norden Volkswagen. Doch der T5 hat nun schon viele Jahre auf dem Buckel. Mit der V-Klasse und deren attraktivem Einstiegspreis von 43 911 Euro sucht Mercedes-Benz nun die Konfrontation mit dem Passagier-Bulli, die der Vorgänger Viano nicht geschafft hatte.
Deutlicher als beim T5 und Viano hebt sich das Außendesign der V-Klasse von ihren Nutzfahrzeug-Verwandten ab. Mit denen möchte man offensichtlich nichts mehr zu tun haben außer Technik, die keiner sieht, weil die Designer sie in eine Gestaltung verpackt haben, wie sie für Personenwagen typisch ist. Die Marketing-Strategen haben das Ihre zur Absatzbewegung beigetragen. Die V-Klasse soll als Van in den Showroom für Pkw einziehen. Der ebenfalls neue Vito soll sich im Schatten der großen Nutzfahrzeuge behaupten.
Wir erfuhren jetzt den Unterschied in einem Mercedes-Benz V220 Blue Efficiency mit dem Radstand von 2,30 Metern und der mittleren Aufbaulänge von 5,15 Metern in der Ausstattung Avantgarde und dem 120 kW / 163 PS-Vier-Zylinder-Diesel zum Basispreis von 51 646 Euro. In der Avantgarde-Ausstattung ist das Leder rundum ebenso enthalten wie LED-Scheinwerfer und das komplette Intelligent Light-System der Stuttgarter sowie eine dritte Schiebetür links.
Wer die öffnet, erlebt die erste Überraschung. In unserem Fall bestand die aus einem Passagierabteil mit zwei Einzelsitzen, die sich drehen, klappen und zusammenfalten lassen und einer dreisitzigen Rückbank mit ausgeformten Einzelsitzen, die sich verschieben und deren Rückenlehne sich verstellen lässt. Ausbaubar sind die Sitze auch alle. Aber eigentlich kommt beim Anblick der Ausstattung kaum jemand auf die Idee, dass dieser Innenraum zu etwas anderem nutzen könnte als dem komfortablen Transport von sechs Passagieren und viel Gepäck.
Für Gepäck bietet die Langversion der V-Klasse etwas mehr als einen Kubikmeter, mit verschobener Rückbank auch mehr. Den unter der Fensterkante liegenden Bereich des Gepäckraums deckt eine massive Platte ab, in der zwei Kunststoff-Klappkörbe auf den Einkauf warten. Simply Clever. Die Heckscheibe lässt sich einzeln öffnen und gibt so den oberen Teil des Gepäckabteils fei. Die große Klappe öffnet in unserem Exemplar elektrisch zu einem großen Vordach mit mehr als 1,90 Meter Standhöhe.
Unsere V-Klasse mit der schwarzen Lederausstattung wirkte eher wie eine edle Limousine für den Transport zum Flughafen oder in andere hochpreisige Gefilde. Doch die fünf vorbildlich untergebrachten Isofix-Befestigungen für Kindersitze sprechen selbst in diesem Edel-Mobil für den Einsatz als Familienfahrzeug. Das verspricht viel Spaß mit fünf maximal Zwölfjährigen auf der Urlaubsreise: Wie lange noch? Mir ist schlecht. Der hat mich getreten. Ich habe Hunger. Ich muss mal. Dafür bleint an Bord ja immer noch ein vorbildlicher Platz für den Betreuer auf dem Beifahrersitz, im Zweifelsfall mit einem Durchstieg nach hinten. Der ist möglich, weil dem Fronttriebler der Mitteltunnel fehlt.
Auf dem Fahrersitz stört das Fehlen des Mitteltunnels nur in einem Punkt: Das Bedienelement mit Touchpad für das große Command Online-System (Aufpreis rund 3500 Euro) und einige Funktionen wie Fahrmodus-Schalter sitzt zu weit vorn, als das die Hand vom Lenkrad automatisch darauf fiele. Sonst ist alles perfekt im Stil der neuen C-Klasse.
Soviel Nähe zum Personenwagen-Design war nie: Ein großes, geformtes Holz-Zierteil, die runden, mattmetallen umrandeten Ausströmer der Lüftung und anderer Elemente wie den Reglern für die Klimaanlage, das sehr große aufgesetzte Display der Command online-Anlage, das Drei-Speichen-Lederlenkrad mit den Paddel für das Schalten der Sieben-Gang-Wandler-Automatik von Hand, der Wahlhebel für das Getriebe rechts am Lenkrad – hier wurde konsequent übernommen, was bereits bei den Personenwagen der Marke eine neue Qualität der Innenraumgestaltung eingeleitet hat mit Materialien, die man gern ansieht und gern berührt wie die geriffelten Drehregler.
Da dürfen die beiden Themenbereiche Sicherheit und Komfort nicht nachstehen. Deswegen bietet Mercedes-Benz auch für die V-Klasse das komplette Sicherheitspaket, das unter dem Begriff „Intelligent Driving“ zusammengefasst wird. Dazu gehören Spracheingabe, Müdigkeitserkennung, Totwinkelwarnung, Spurhaltung, Abstandsregelung, Aufprallvermeidung, Aufprallvorbereitung, Verkehrszeichenerkennung und weitere Systeme fürs Fahren wie die Fahrwerkseinstellung Agility Select und die Agility Control, mit der der Charakter des Antriebs vorgegeben wird. Manches davon ist Serie. Wer aber alles an Bord hat, muss mit Mehrkosten von wenigstens 10 000 Euro rechnen.
Wir hatten das an Bord und haben es genossen. Mit der Einstellung fürs Fahrwerk und den Antrieb hat der Fahrer ein Instrumentarium in der Hand, mit dem er nicht nur Spielen, sondern auch sparen kann. Im Eco-Modus und mit dem Start-Stopp-System schaffte wir die Anreise in den Norden über rund 600 km mit einem Schnitt von 75 km/h und einem Verbrauch von 8,6 Litern Diesel auf 100 km. Das ist ein sehr respektabler Wert für einen fast ausgeladenen Drei-Tonner mit der Stirnfläche der V-Klasse, auch wenn Mercedes-Benz als Durchschnittsverbrauch ab Werk 5,7 Liter auf 100 km angibt. Im Sport-Modus fährt er sich allerdings deutlich agiler, sodass man meint, die V-Klasse schaffe den Sprint von 0 auf 100 km/h schneller als in den angegebenen 11,7 Sekunden.
Die Automatik schaltet in allen Situationen weich und schnell. Dass sie über eine manuelle Funktion verfügt, mag in manchen Situationen – zum Beispiel bei steilen Abfahrten und auf Glätte – sinnvoll sein. Bei unserer Tour haben wir die manuellen Modus nicht vermisst. Im Zusammenspiel mit dem Eco-Modus und dem Start-Stopp-System gab es auch nur in einem Fall etwas zu meckern: Beim Rangieren schaltet der Motor aus, sowie das Auto kurz zum Stand kommt. Start-Stopp wird also besser ausgeschaltet.
Fazit: Mit der V-Klasse hat Mercedes-Benz die Lücke zwischen dem Pkw und dem Van der eigenen Marke geschlossen und so eine andere Lücke weiter aufgerissen. Die V-Klasse kommt nicht nur um Tausende günstiger als der VW T5 daher, sie ist ihm auch bei der Ausstattung und vor allem bei den Sicherheitstechniken deutlich überlegen. Die V-Klasse hat das Zeug zur Wachablösung. Aber so etwas kann dauern. Von Peter Schwerdtmann (ampnet/Sm)
Daten Mercedes-Benz V220 CDI Blue Efficiency
Mittlere Länge, Ausstattung Avantgarde
Länge x Breite x Höhe (in m): 5,14 x 1,93 (mit Außenspiegeln 2,25) x 1,99
Radstand (m): 3,20
Motor: R4-Benziner, 2143 ccm, Turbo, Direkteinspritzung
Leistung: 120 kW / 163 PS bei 3800 U/min
Max. Drehmoment: 380 Nm von 1400 – 2400 U/min
Höchstgeschwindigkeit: 194 km/h
Beschleunigung 0 auf 100 km/h: 11,8 Sek.
ECE-Durchschnittsverbrauch: 5,7 Liter
CO2-Emissionen: 149 g/km (Euro 6)
Leergewicht / Zuladung: min. 2075 kg / max. 1025 kg
Kofferraumvolumen1030 Liter
Max. Anhängelast: 2000 kg
Wendekreis: 11,8 m
Räder / Reifen: 7,5 J X 18 ET52 / 245/45 R 18
Luftwiderstandsbeiwert: 0,31
Grundpreis: 51 646 Euro