Es geht um Geld. Um viel Geld. Es geht um Tote und Verletzte. Vielleicht um viele Tote und Verletzte. Und es geht nicht zuletzt um den Klimaschutz und damit um unsere Umwelt.
Von Hans-Robert Richarz
Zur Erinnerung: Das bis Ende vergangenen Jahres in Klimaanlagen verwendete Kältegas R134a schädigt – falls es in die Atmosphäre gelangt – die Umwelt 1430mal so stark wie Kohlendioxid. 2006 erließ daher das Europäische Parlament die Verordnung 842/2006, die bestimmte, dass spätestens 2011 in dann vom Kraftfahrtbundesamt neu typgeprüfte Personenwagen nur noch solches Kältegas verwendet werden durfte, das höchstens ein Zehntel so belastend war. Wie das gehen sollte, wussten zu diesem Zeitpunkt nur ein paar Wissenschaftler, die mit CO2 als Ersatz für R134a experimentierten und mit ihren Forschungen schon ziemlich weit gekommen waren.
Einziger Haken: Der Einsatz von Kohlendioxid funktionierte in den herkömmlichen Klimaanlagen nicht, es waren neu zu konstruierende Ausführungen erforderlich, die unter anderem viel höheren Drücken standhalten mussten. Weil das aber erhebliche Investitionen erforderte und die Autos um einen dreistelligen Eurobetrag verteuern würde, legte die Industrie entsprechende Projekte auf Eis.
Da meldeten sich zwei Jahre später die beiden US-amerikanischen Chemiekonzerne Honeywell und Dupont zu Wort und präsentierten das neue Kältegas R-1234yf, das für die Atmosphäre nachgewiesenermaßen nur noch viermal so schädlich ist wie CO2, dafür aber andere unangenehme Eigenschaften aufwies, von denen aber vorerst nicht die Rede war.
Damit ihnen niemand in die Quere kommen konnte, hatten Honeywell und Dupont Tetrafluorpropen – so die chemische Bezeichnung des neuen Kältemittels – weltweit zum Patent angemeldet und begonnen, in China eine Fabrik für dessen Produktion zu bauen. Ein Monopol für R-1234yf wäre für die beiden Chemiegiganten eine Art Gelddruckmaschine und würde beiden Konzernen einen zusätzlichen Umsatz von fünf Milliarden Euro pro Jahr bescheren. Das hatten deren Kaufleute bereits im Vorfeld ausgerechnet.
Weil sich die Fertigstellung der R-12324yf-Produktionsanlagen verzögerte, änderte die EU-Kommission die Frist der Anordnung von 2006 und bestimmte nun den 1. Januar 2013 als Stichtag, ab dem alle ab dem Jahr 2011 neu typgeprüften Pkw mit einem neuen Mittel ausgestattet werden mussten, das den strengen Vorgaben entsprach. Und dafür kam zum jetzigen Zeitpunkt ausschließlich R-1234yf in Frage.
Doch dann überschlugen sich die Ereignisse. Bei Tests sorgte das neue Kältegas für ein flammendes Inferno in einer ganzen Reihe von Mercedes-Limousinen. Stephan Geyer, Chefingenieur bei Daimler, war fassungslos. „Das Mittel, das als schwer entflammbar galt,“ klagte er, “ verhielt sich ganz anders als wir erwartet hatten – es entzündete schlagartig den gesamten Motorraum.“ Der Test hatte einen Frontalzusammenprall simuliert, bei dem der Schlauch einer Klimaanlage angerissen war, eine durchaus realistische Szenerie. Das ausströmende Kältegas war auf den heißen Motor gesprüht und in Brand geraten. Das Ganze wiederholte sich bei rund 50 weiteren Tests.
Schlimmer noch als das Feuer stellte sich die chemische Reaktion im Anschluss heraus. Plötzlich hatte sich Tetrafluorpropen in hochgiftige, ätzende Flusssäure verwandelt, die für Unfallopfer und Notfallhelfer gleichermaßen gefährlich – wenn nicht gar tödlich ist. Folge: Der Daimler-Vorstand setzte R-1234yf umgehend auf die dunkelrote Verbotsliste. Mercedes-Modelle, die bereits mit dem neuen Gas ausgestattet waren, wurden in die Werkstätten zum Austausch gegen das alte Kältemittel zurückgerufen. Alle anderen Neufahrzeuge aus der schwäbischen Metropole, die eigentlich laut EU-Vorscrift mit R-1234yf ausgeliefert werden sollten, erhielten wieder das alte Mittel.
„Stuttgarter Weg“ nennen Branchen-Insider diese Politik, die zweifelsohne geltendes EU-Recht verletzt. Die anderen Firmen, die nach wie vor das alte Mittel verwenden, nahmen dagegen den „Wolfsburger Weg“ indem sie VW imitierten. Sie stellten seit dem 1. Januar 2011 kein neues Auto zur Typprüfung beim Kraftfahrtbundesamt vor, sondern nannten ihre Neuvorstellungen wie zum Beispiel den neuen Golf schlicht und einfach Weiterentwicklungen vorhandener Fahrzeuge, womit sie der Brüsseler Anordnung ganz legal entkommen konnten.
Da inzwischen scheibchenweise immer neue, teils katastrophale Nebenwirkungen von R-1234yf bekannt wurden, kam es schließlich zum Schulterschluss der gesamten deutschen Automobilindustrie mit Ausnahme von Ford und Opel, die beide zu 100 Prozent in amerikanischem Besitz stehen und gegenüber den Anordnungen von Detroit machtlos ausgeliefert sind. Die Deutschen BMW, Daimler, der gesamte VW-Konzern mit all seinen Marken machen sich für Kohlendioxid als Kältemittel stark, was freilich schätzungsweise noch rund sechs Jahre Entwicklungszeit erfordert. Ihnen gegenüber stehen General Motors, Ford, Fiat, alle französischen, koreanischen und – bis auf Toyota – japanischen Hersteller, die so handeln, wie Brüssel es will. Und das obwohl R-1234yf
• sich in der Atmosphäre laut einem von der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa) veröffentlichtem Gutachten vollständig in Trifluoressigsäure, einem äußerst langlebigem Pflanzengift, verwandelt. Auf Basis der Verluste des alten Kältemittels rechneten die Schweizer allein für Europa eine jährliche Belastung durch dieses Gift mit 19.000 Tonnen aus.
• Auch nach Einschätzung der Bundesregierung in Berlin „eine Gefahr für die Sicherheit im Straßenverkehr und die Verkehrsteilnehmer“ darstellt. Es sei nicht sinnvoll, so teilte Verkehrsminister Peter Ramsauer dem zuständigen EU-Kommissar Antonio Tajani mit, „vor Ausräumung der Risiken die Automobilhersteller dazu zu zwingen, in neu typgenehmigten Fahrzeugen das Kältemittel R-1234yf einzufüllen“.
• Auch dem Umweltbundesamt nicht geheuer ist. Sein Präsident Jochen Flasbarth gibt zu bedenken: „R-1234yf kann zu erheblichen gesundheitlichen Gefährdungen führen, unter Umständen auch zum Tode.“
Dennoch bleibt Brüssel hart. „Das Gesetz ist für alle gleich“, sagt Antonio Tajani. „Sobald ich Informationen darüber erhalte, dass Fahrzeuge mit dem alten Mittel in einem EU-Staat zugelassen werden, sehe ich mich gezwungen, ein Vertragsverletzungsverfahren gegen diesen Staat anzustrengen.“ Offiziell ist der Kommissar von der Vorgehensweise von Daimler offensichtlich noch nicht informiert worden oder hat entsprechende Meldungen ignoriert. Immerhin ließ er ein Hintertürchen offen: „Sobald mir eine negative Risikobewertung von offizieller Stelle vorliegt“, so ließ er wissen, „werden wir die Situation überdenken.“
Ganz im Sinne der General Motors-Bosse ließ Opel im März einige Mokka-Modelle mit R-1234yf ausgestattet vom TÜV Rheinland in Köln gegen ein Hindernis fahren. Die Testparameter entsprachen einem Unfall auf der Autobahn, bei dem ein voll beladenes Fahrzeug am Stauende mit 50 km/h auf ein stehendes Fahrzeug prallt. Der heftige Crash beschädigte das Klimasystem, Kältemittel trat in der Nähe des heißen Auspuffkrümmers aus, zu einem Brand kam es aber nicht.
„Die Sicherheit unserer Fahrzeuge und unserer Kunden hat oberste Priorität“, behauptete daraufhin Opel-Entwicklungsvorstand und GM Europe Vice President Engineering, Michael F. Ableson. „Der Mokka stärkt mit dem neuen Kältemittel unsere führende Rolle bei der Verknüpfung von Mobilität, Umweltschutz und Sicherheit.“ Wenn sich ein GM-Mann allerdings in derart verstiegene Public Relations-Behauptungen begibt, ist Vorsicht am Platze. Es ist noch gar nicht so lange her, dass General Motors die Kosten für den Rückruf des Modells Chevrolet Malibu wegen eines gefährlich platzierten Tanks mit den Kosten für Schadenersatz möglicher Unfallopfer vergleichen ließ. Die ebenso kalte wie zynische Kalkulation: Statistisch gesehen hätte ein Rückruf rund drei Viertel mehr gekostet als die Wiedergutmachung für Schmerzen von Unfallopfern oder Entschädigung für Hinterbliebene. Und das sogar bei den in den USA üblichen oftmals riesigen Entschädigungssummen bei Produkthaftungsfällen.
Die könnten in Zukunft auch in Europa fällig werden. Denn sobald ein Hersteller bei seinen Fahrzeugen ein Sicherheitsrisiko entdecke, könne er die Autos nicht einfach wider besseres Wissen auf den Markt bringen, sagt der Münchner Jura-Professor und Haftungsexperte Thomas Klindt, der den Autobauer Daimler in einem „rechtlichen Minenfeld“ und mit seinem Boykott „auf einem logischen Weg“ sieht. Das Fachblatt „Automobilwoche“ folgerte: Neben dem Image-Desaster, das ein brennender Wagen mit Verletzten oder gar Toten für Daimler bedeuten würde, müsste der Konzern haftungsrechtlich für den Schaden geradestehen. Im schlimmsten Fall könnten dem Management sogar persönliche Konsequenzen drohen – und das nur deshalb, weil die EU in Brüssel Honeywell und Dupont mehr glaubt als den Mercedes-Ingenieuren.
Die mussten sich von Honeywell inzwischen sagen lassen, für ihre brennenden Klimaanlagen selbst verantwortlich zu sein. Honeywell-Manager Tim Vink kanzelte die Schwaben ab: „Ihr Test ist eine idealisierte Prüfung, die nirgends anerkannt ist und von vielen nicht nachvollzogen werden kann.“ Der Versuch von Opel sei dagegen völlig Problemlos verlaufen.
Aber auch dieser Versuch bekam sein Fett ab. So wurde moniert, dass der TÜV Rheinland nicht geprüft hätte, ob sich die hochgiftige Flusssäure entwickelt habe. Zudem sei ein wichtiges Datenkabel gerissen, das es verhindert habe, die Temperatur im Motorraum zu messen. Der Chemiker Prof. Andreas Kornath von der Universität München hatte schließlich noch zu mäkeln, dass der bei dem Versuch ausgetretene Wasserdampf wie eine Löschanlage gewirkt habe. Die Zersetzung von R1234yf unter großer Hitze zu Flusssäure wäre so nicht möglich gewesen.
Das Kraftfahrtbundesamt (KBA) will jetzt in eigenen Testreihen prüfen, wie gefährlich das Klimamittel tatsächlich ist, berichtete das Fachblatt „Auto Motor und Sport“. Ein Sprecher der Behörde sagte, es müsse geklärt werden, ob es sich bei der Brandgefahr nach Unfällen, die Tests von Mercedes belegt haben, um markenspezifische Fälle oder um allgemeines Risiko handele. Auf Basis der Ergebnisse will das KBA im Sommer eine eigene Risikoanalyse vorlegen.
Inzwischen bewegen sich auf deutschen Straßen bereits mehr als 10 000 Fahrzeuge, vor allem aus japanischer und japanischer Produktion, die das Mittel R-1234yf an Bord haben. Vor ihnen fürchtet sich auch Andreas Thöne vom Berufsverband Feuerwehr, der ebenfalls Zweifel an der Aussagefähigkeit des Opel-Crashtests anmeldete. Mehr aber kritisiert er, dass seine Kollegen nicht wissen können, auf was sie treffen, wenn sie zu einem brennenden Auto gerufen werden: „Wir fordern das Kraftfahrtbundesamt auf, das Mittel zu verbieten, weil sich herausgestellt hat, wie gefährlich es ist.“
Bis es soweit ist, muss jede Autowerkstatt – egal ob frei oder markenverbunden – möglicherweise in Zukunft einen Hochsicherheitstrakt auf dem Betriebsgelände einrichten, so wie es beispielsweise Apotheker mit ihrem Giftschrank für Arzneimittel machen müssen, die als suchtgefährdend im Verdacht stehen. Gerät nämlich R-1234yf in falsche Hände, könnte gar Terrorgefahr bestehen, mutmaßte die Zeitschrift „Autobild“. Das „Killer-Kältemittel“ („Autobild“) sei nach Ansicht des Münchner Chemieprofessors Andreas Kornath das einzige brennbare Gas auf dem Markt, das Fluorwasserstoff produziert und somit Potenzial für terroristische Nutzung habe
Da läuft es einem auch ohne Klimaanlage kalt den Rücken herunter.