Mit den Assistenzsystemen sei es wie mit Medikamenten, jeder wolle die Wirkung, aber niemand akzeptiere die Nebenwirkungen. Auf diesen Vergleich reduzierte jetzt Ulrich Klaus Becker, der Vizepräsident des ADAC die Diskussion rund um die Daten sammelnden Autos von heute und morgen. Becker war einer der Teilnehmer einer Podiumsdiskussion, zu der das Goslar Institut gestern am Rande des 53. Verkehrsgerichtstags eingeladen hatte. Thema: „Der Auto(matisierte) Fahrer – ferngesteuert und abgezockt?“
Von Peter Schwerdtmann
Dieser Abend war ganz den Nebenwirkungen gewidmet, nämlich der Frage: Wem gehören eigentlich die unendlich vielen Daten, die mein Auto erfasst und übermittelt? Die Automobilhersteller sehen sich hier einem Generalverdacht ausgesetzt. Schließlich sind sie es, die am besten wissen, welche Daten ihr Auto zur Verfügung stellen kann. Da sollte man doch wohl davon ausgehen, dass sie so klug sind, etwa wie Google und Facebook und aus dem riesigen Datenpool, den ihnen die Autos schenken, einen dicken Gewinn schlagen – vielleicht aber auch nicht, weil andere hier ebenfalls Geschäfte wittern.
Der Kampf um Big Data entbrennt also auch beim Auto. Versicherer, Werkstätten, Parkhäuser, Tankstellen, Restaurantbesitzer, Navigationsanbieter und viele Branchen mehr wünschen sich, dem Autofahrer zu helfen – natürlich gegen eine geringe Gebühr. Der Automobilindustrie unterstellt man bestimmt nicht zu Unrecht, diese Geschäfte selbst abwickeln zu wollen. Schließlich hat sie ja auch Milliardenbeträge in das automobile Big Data-Wesen investiert.
Doch will ein autofahrender Mensch informiert werden, wenn ein paar Kilometer weiter die Bremsen versagen werden? Die Antwort ist ein klares Ja. Will er auf dem schnellsten Weg in die Vertragswerkstatt seiner Marke gelotst werden. Vielleicht. Erst recht bei einem Gebrauchtwagen stellt sich die Frage: Wo bleiben da die freien Werkstätten?
Das Beispiel Werkstatt lässt sich auf viele andere Geschäftsmodelle anwenden. Deswegen fordern unter anderen auch die Versicherungen gleiche Chancen in diesem Markt. Sie können sich dabei gerade bei den Werkstätten auf die EU berufen, die mit der Gruppenfreistellungsverordnung geregelt hat, dass alle Anbieter Zugriff auf die Daten haben müssen, die sich mit der Wartung und Reparatur eines Fahrzeugs befassen. So etwas erhoffen sich die Experten auf dem Podium in Goslar auch für die Auto-Daten. Es soll Schnittstellen geben, damit andere Anbieter sich einklinken können.
Doch vorher muss die Frage geklärt werden, wem die Daten eigentlich gehören. Die Antwort der Datenschützer ist klar: Dem Besitzer des Autos. Wenn das so ist, muss der auch persönlich entscheiden, wer welche seiner Daten nutzen kann. Die Generation Facebook interessiert heute offenbar wenig, was mit ihren Daten im Internet geschieht. Es wird daher nicht die Mehrheit der Autokäufer sein, die sich überhaupt für Datensicherheit interessieren. Das wird es dem Verkäufer erleichtern, sich bei den vielen Unterschriften, die bei einem Autokauf heute zu leisten sind, auch die für die Genehmigung der uneingeschränkten Datennutzung zu holen.
Da in Deutschland Nebenwirkungen häufig zu heftigeren Diskussionen führen als die Wirkungen, wird eine Minderheit sich quer legen und für vernünftige Standards sorgen müssen. Sind die vorhanden, sind die Pflichten auf beiden Seiten gleichmäßig verteilt: Es gibt eine Bringschuld beim Hersteller und seinem Händler, aber auch eine Holschuld beim Käufer. Das Bewusstsein, sich selbst um Informationen zu den Daten kümmern zu müssen, kann durch Information wachsen. Bei der Bringschuld aber ist die Politik gefordert und auch da wieder gleich die europäische Politik. Wir brauchen eine sehr gründliche Diskussion, die klären muss, welche Daten der Hersteller aus Sicherheitsgründen benötigt und wo die Schnittstelle sitzt, von der an der Autobesitzer festlegen kann, was mit seinen Daten geschieht.
Auch in der Runde in Goslar erhob sich wieder die Forderung, die Politik müsse sich sputen, bei diesem Thema mit der Technologienentwicklung Schritt zu halten. Die Lebenserfahrung im Umgang mit Technologie und Politik lehrt aber zweierlei: Die Politik verfügt nicht über das notwendige Fachwissen, und die Prozesse dauern viel zu lange.
Hoffnung beim sachkundigen Betrachter hinterlässt die Vorgehensweise beim automatischen Notruf E-Call. Offenbar hat Brüssel gemerkt, welche prinzipiellen Fragen auch der Sicherheit davon berührt sein können, wenn es auf einmal eine Datenverbindung ins Auto hinein gibt. Die ist zwar nur für die Nachfragen aus der Notrufzentrale gedacht, stellt aber dennoch eine möglicherweise zu öffnende Tür in den Bordcomputer dar. Es sind hoffentlich auch Fragen des Datenschutzes gewesen, die Brüssel jetzt bewegt haben, den E-Call bis ins Jahr 2018 zu verschieben. Den Brüsseler Bürokraten hatte sich von der Wirkung des automatischen Notrufs faszinieren lassen. Auf die Nebenwirkungen mussten sie erst einmal vom EU-Parlament hingewiesen werden.
Jetzt haben sie in Europa aber immerhin am relativ einfachen Beispiel des E-Call gelernt, wie mit diesen extrem komplexen Themen umzugehen ist. Arzt oder Apotheker zu fragen, hilft in diesem Fall nicht. Da müssen schon Fachleute mitreden, damit die sinnvollen und angenehmen Wirkungen der großen Datenflut aus dem Auto nicht wegen der Nebenwirkungen sterben. (ampnet/Sm)