Damit konnte man rechnen, dass Medien in den USA und besonders in Deutschland die Ergebnisse des Crashtests von elf Autos des amerikanischen Luxury-Segments aufgreifen. Schließlich traf es auch deutsche Marken, die sich hierzulande zu Recht als Premium verstehen. Das ruft immer wieder Deutsche auf den Plan, die sich gern an den Großen reiben. Und erst recht fühlen sich US-Medien davon angesprochen, wenn es die bösen Ausländer trifft, die den US-Herstellern immer mehr den Markt streitig machen.
Man darf dem Insurance Institut für Highway Safety (IIHS) nicht unterstellen, dass ein solches Thema mehr dem Profil der eigenen Institution als der Sicherheit der Autofahrer dienen soll. Aber unter seinen Chef J.C. Kahane geschah schon Mitte der 90er Jahre Bemerkenswertes. Der Markt für US-Fahrzeuge schwächelte heftig, als die IIHS entdeckte, das ABS-System sei lebensgefährlich. Es ermögliche dem Fahrer, mit Vollbremsung in den Gegenverkehr zu fahren. Der Handel nutzte dieses bemerkenswerte Urteil gern aus. Er bestellte Autos ohne ABS und konnte sie rund 300 US-Dollar billiger anbieten. Die europäischen Hersteller zogen dabei selbstverständlich nicht mit.
Später argumentierte das IIHS mit Inbrunst, je schwerer ein Auto sei, desto besser. Schwere Autos zerschlagen bei einem Umfall die leichten und konzentrieren damit den Schaden beim schwächeren Verkehrsteilnehmer. Das ist zwar eine typische amerikanische Denkweise vom Recht des Stärkeren und der Verpflichtung des Einzelnen sich durchzusetzen, aber volkwirtschaftlich und versicherungsmathematisch geht die Rechnung auf. Und es schadete den leichteren Non-American-Cars.
Auch bei ESP gab sich das IIHS zunächst außerordentlich zugeknöpft. Hier war es die National Highway Safety Administration (kurz NHTSA, in den USA ausgesprochen als Nitze), die den Fortschritt diktierte. Eines der Argumente für ESP war auch in den USA: Der Fahrer ist bei einem Unfall, dem er nicht ausweichen kann, in der Lage, den Wagen so auszurichten, dass er den Unfallgegner mit der vollen Breite seines Fahrzeugs trifft und damit die komplette vordere Knautschzone ausnutzen kann. Außerdem verhindert ESP Schleudern, so dass der gefährliche seitliche Aufprall auf einen Baum oder Pfahl vermieden werden kann.
Die Knautschzone moderner Fahrzeuge haben unsere Ingenieure der amerikanischen Vorschriften wegen schon härter auslegen müssen als es dem üblichen Unfallbild entspricht. Heute wird ein Fahrzeug mit 64 km/h auf eine Barriere geschossen, die 40 Prozent der Fahrzeugfront trifft. Viel zu schnell, sagen die Europäer auch angesichts der Unfallstatistiken in den USA und in Europa. Man könnte das Verletzungsrisiko weiter vermindern, wenn man die Crash-Geschwindigkeit an die tatsächlichen Unfallgeschwindigkeiten anpasste.
Das IIHS bleibt bei der Crash-Geschwindigkeit von 64 km/h und lässt die Probanden das Hindernis nur mit der Fahrzeugecke einschlagen, was seit ABS und ESP nicht mehr die Regel darstellt, auf jeden Fall nicht den Vorschriften entspricht, nach denen auch IISH bisher geprüft hat und dieselben Fahrzeuge als vorbildlich bezeichnete (Top Safety Pick), die man heute tadelt, weil man etwas anderes probiert, natürlich mit Non-American-Cars des Luxury-Segments. „Luxury“ ist in den USA nicht vergleichbar mit Oberklasse, sondern eher mit unserem Premium-Begriff. Merkwürdig, dass dieser Test nicht mit US-Premium-Fahrzeuge durchgeführt wurde. So können sich die Betroffenen als „vorgeführt“ betrachten, bis auf Volvo, die mit dem V60 als einzige Marke nicht scheiterte.
Kein Wunder, dass Volvo jubelt, alle anderen aber sind sauer – laut oder hinter den Kulissen. Gerade die Hersteller, die sich bisher nicht vorwerfen lassen, die Vorschriften nicht mit dem notwendigen Abstand einzuhalten und selbst die übertrieben hohen US-Standards zu erfüllen, sehen sich nun auf einmal als Ziel eines Angriffs, gegen den sie sich nicht einmal wehren können.
Wenn IIHS einen neuen Standard für geboten hält, dann müssen dem alle folgen, die in den USA Autos verkaufen wollen, auch die amerikanischen Hersteller. Auch die NHTSA wird zumindest schweigen, vermutlich aber mitziehen. Dafür sorgen traditionsgemäß die US-Medien, und auch hierzulande werden viele in dieselbe Kerbe schlagen. Also wird der Vorbau unserer Autos noch steifer, was der Idee der Energie absorbierenden Front zuwiderläuft.
Toyota hat schmerzvoll erfahren, was geschieht, wenn man sich nicht augenblicklich devot verhält. Da werden Unternehmen zu millionenfachen sinnlosen Rückrufen gezwungen und müssen auch noch Hohn und Spott über sich ergehen lassen. Und ein Imageschaden à la Toyota dauert lange nach. Davon kann auch Audi ein Liedchen singen. Vor langen Jahren hat man dem Audi 5000 vorgeworfen, er gebe plötzlich und unmotiviert Gas. Wie bei den Toyota-Rückrufen stellte sich das als Ausrede von schlechten Autofahrern heraus. Aber es schmerzt noch heute.
Das IIHS hat mit den niederschmetternden Ergebnissen für Volkswagen, Audi und Mercedes-Benz verkündet, nun wolle man auch die Fahrzeuge prüfen, die nicht „Luxury“ seien. Da darf man gespannt sein, ob dieses Mal US-Fahrzeuge geprüft werden oder wieder nur Asiaten und Europäer. (ampnet/Sm)